Ich muss R. anschreiben. Ich will wissen, wie die Lage in Kiew ist und vor allem, ob sie wohlauf ist. Alles gut – vorerst. Unsere Gedanken sind mit allen dort und mit allen betroffenen Eltern und ihren Babys.
Anzeige/WerbungMonat: Februar 2022

Leihmutterschaft
Ich würde mich schon als experimentierfreudig bezeichnen, aber ich gestehe, vor einigen Jahren noch hätte ich mich nicht damit anfreunden können. Nun, man entwickelt sich weiter, die Erfahrungen des Lebens lassen heranreifen und viele Dinge aus neuen Perspektiven betrachten.
R. antwortet sofort. Die Kriterien für ein Leihmutterschaftsprogramm sind streng. Die Wunscheltern müssen verheiratet sein und es muss eine ärztliche Bescheinigung vorliegen, wonach die Frau medizinisch und gesundheitlich nicht in der Lage ist, ein (weiteres) Kind auszutragen. Ich übermittle ihr den OP-Bericht von 2019. Die Zusage kommt postwendend. Sie leitet mich an ihre Kollegin weiter, die Verträge – es sind viele – kommen noch am selben Tag per E-Mail. 2 Spalten, links urkainisch, rechts deutsch. Alles ist detailgenau geregelt. Wir entscheiden uns für das Programm „All inclusive Standard“ für 39.900 Euro mit einem Jahr Wartezeit. Mehr können wir finanziell nicht aufbringen, und auch das wird Fleiß, Sparsamkeit und Verzicht fordern. Wir haben viele Fragen über den Ablauf, V. antwortet. Eine erneute Gesundheitsprüfung ist nicht erforderlich, da unsere Daten bereits seit 2017 in Kiew vorliegen. Ein erster Versuch ist mit den Samenzellen möglich, die 2018 eingefrorenen wurden. Geschlechtsauswahl kostet 3.000 Euro pro Versuch, wenn wir das wollen. Nach der Geburt bleibt das Baby ein paar Tage im Krankenhaus. Wir müssen 4 bis 5 Wochen Aufenthalt für alle Formalitäten in Kiew einplanen. Während der Schwangerschaft dürfen wir Tonmaterial schicken, dass dann dem Baby im Bauch der Leihmutter abgespielt wird.
Für die Aufnahme auf die Warteliste müssen wir noch eine Anzahlung in Höhe von 8.000 Euro leisten.

Kein Alleingänger?
Zweieinhalb Jahre sind seit den dramatischen Ereignissen von 2019 vergangen. Wir haben eine Entscheidung getroffen. Ich muss weinen. Trauer, Frust, aber auch Dankbarkeit, Liebe und Hoffnung. Ein Wechselbad der Gefühle. Gestern Abend setzte sich Manuel zu mir aufs Bett. Er habe es sich überlegt, Unser Sohn soll kein Einzelkind bleiben. Aber er wolle auch nicht mehr riskieren, Frau und Kind zu verlieren. Sein Trauma ist noch nicht verarbeitet, ja kann man je so etwas verarbeiten? Deswegen sollte ich das Geschwisterkind bitte nicht selbst austragen. Das tut mir weh. Ich bin gerne schwanger. Und Fachleute gehen davon aus, dass der Austausch zwischen mütterlichem und kindlichem Körper epigenetisch eine gewisse Bedeutung hat und dazu beiträgt, das Kind aus mir fremdem Genmaterial ein wenig mit meinem eigenen genetischen Gut zu verbinden. Von dieser Vorstellung muss ich mich verabschieden. Andererseits: Mein Mann sorgt sich um mich und um sein Kind, seine Kinder, und will niemanden verlieren. Was für ein Liebesbeweis, nicht mit 50 roten Rosen oder einem Diamantring aufzuwiegen. Außerdem: Ist das nicht etwas egoistisch, sich genetisch mit einem Kind verbunden fühlen zu wollen? Blut ist dicker als Wasser? Denkste. Manches Kind tut seinen Eltern so verdammt weh, schlimmer kann es bei einem Adoptivkind kaum werden. Im Zuge der Trennung und Scheidung von meinem ersten Ehemann haben sich gleich zwei Töchter von mir abgewendet. Minderjährige lebensunerfahrene Mädchen, die sich anmaßten, über ihre Mutter urteilen zu können und zu dürfen. Die eine, mittlerweile verheiratet, verleugnet mich bis heute. Wenn sie eines Tages Kinder hat, wird sie vielleicht verstehen. Wie viele Adoptivkinder tun ihren Eltern so etwas an? Das versöhnt mich mit dem Gedanken, BioTexCom anzuschreiben.